Landschaft und Bevölkerung des Gebietes an und zwischen den drei Flüssen Donau, Inn und Ilz erscheinen dem Besucher als natürlich gewachsene Einheit. Diese Zusammengehörigkeit wird von den Bewohnern heute als selbstverständlich empfunden. Dabei ist die Geschichte des Landkreises Passau noch ungewöhnlich jung. Erst mit der „Verordnung zur Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte“ vom 27. Dezember 1971 wurde der neue Großlandkreis Passau mit Wirkung vom 1. Juli 1972 ins Leben gerufen. Doch außer in den Anfängen – und nie ganz ohne Einflussnahme des namensgebenden Zentrums – gingen lange die Hauptorte durchaus eigene, getrennte Wege. Umso abwechslungsreicher und spannender ist die historische Spurensuche.
Seit Menschengedenken lockte das Land zwischen den Flüssen Siedler an. Die ältesten Spuren hinterließen sie auf der schmalen Landzunge, wo Donau, Inn und Ilz zusammentreffen. Ein Platz, der zur Besiedlung geradezu einlädt. Hier gründeten Kelten (Raeter) ihre Siedlung Boiodurum vor rund 2 1/2 Jahrtausenden. Doch schon 15 v. Chr. folgten ihnen die Römer. Zur Sicherung ihrer Nordgrenze eroberten sie den Donauraum und errichteten die Provinzen Raetien (= Altbayern) und Noricum (= Österreich). Auf der strategisch wichtigen Halbinsel stationierten sie ihre 9. Batavische Kohorte in Castra Batava oder Batavis zum Schutz der Nord- und der Provinzgrenze. Der Name BAZZAWE = PASSAU war geboren.
Die Römerzeit war der erste kulturelle Prägestempel der Region bis der Sturm der Völkerwanderung um 450 n. Chr. Germanen verschiedener Herkunft ins Land führte. Ein einziger Mann – der „heilige Severin“, einst ein römischer Aristokrat und Angehöriger der politischen Oberschicht – trat als der Beschützer der romanisierten und christianisierten Raeter den Eroberern diplomatisch und erfolgreich gegenüber. Dennoch fiel bald die letzte schwer befestigte römische Bastion „Boiotro“ (heute Museum in der Passauer Innstadt). Im 6.-7. Jh. sind schon die Bajuwaren/Baiern Herren des Landes. Das Bayernvolk scheint – seltsam genug – innerhalb eines knappen Jahrhunderts „aus einem Durcheinander, Nebeneinander und Gegeneinander“ von romanisierten Kelten und verschiedenen wandernden Germanenschwärmen unter politischem Druck des fränkischen Königtums entstanden zu sein. Bis zum 8. Jh. bildete sich unter fränkischer Oberhoheit das Herzogtum der Agilolfinger. Ihre Residenz lag auf der Halbinsel zwischen Donau und Inn.
AUFSTIEG UNTER DER HERRSCHAFT STARKER BISCHÖFE UND FÜRSTBISCHÖFE
Hier, an einem der ältesten urbanen Siedlungspunkte Mitteleuropas, haben Bewohner die dunklen Zeiten überlebt – darunter viele Christen. 739 erkennt Bonifatius, der angelsächsische Apostel der Deutschen, die Gründung eines ständigen Bischofssitzes unter Bischof Vivilo an. Dieses östlichste bayerische Bistum entwickelte sich in der Folge zum Kolonisationszentrum, das seine Missionstätigkeit donauabwärts bis weit nach Ungarn ausdehnte. Reichte seine Ausdehnung bei der Gründung bis zur österreichischen Enns, so wurde es im 9. Jh. bis über Wien vergrößert. Es wurde schließlich die flächenmäßig größte Diözese des „Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation” und erstreckte sich bis Estergom. Der Passauer Dom St. Stephan, der bis heute das Stadtbild beherrscht, ist Namensgeber seiner einstigen „Filialkirche”, dem Wiener St. Stephansdom. Auf dem Domberg begann die Besiedlung der Altstadt auf den Resten des Kastells. Hier entstand die bischöfliche Stadt mit dem dominierenden Dom. Auf dem Ostteil der Landzunge wurde im 8. Jh. das Kloster Niedernburg erbaut. Zwischen Bischofsstadt im Westen und Klosterviertel im Osten bauten bald Kaufleute ihre Bürgerhäuser um das heutige Rathaus und den Residenzplatz. Die bischöfliche Hofhaltung zog Handwerker an, die sich im „Suburbium“ westlich der Bischofsstadt niederließen: Klingenschmiede, Messerer, Tuchwirker und Wollweber gaben den Gassen im „Neumarkt“ den Namen ihrer Zunft.
Die rechtsufrige Innstadtbesiedlung begann im 11. Jh. Der Bau der Innbrücke zur Bischofsstadt (um 1150) ließ diesen Teil zum Handwerkerviertel für Lederer, Lohgerber und Klingenschmiede werden. Mit dem Aufblühen des Handels mit Böhmen bildete sich die Ilzstadt heraus. Sie war Ausgangspunkt des „Goldenen Steiges“, des alten Salz-Handelsweges zum böhmischen Prachatitz. Hier siedelten Fischer, Flößer, Schiffbauer und besonders Gastwirte für die „Säumer“, die mit Fuhrwerken den Salztransport nach Böhmen besorgten. Schifffahrt und Salzhandel brachten bald großen Reichtum.
999 erhielt der Bischof von Kaiser Otto III. auch die weltliche Macht über das gesamte Fürstbistum – auf Bitten des Bayernherzogs Heinrich und für seine Verdienste um die kaiserliche Politik. Geschickte Diplomatie zwischen Kaiser und Papst im Investiturstreit brachte den bedeutenden Passauer Kirchenfürsten noch weiteren Einflussgewinn: 1193 übertrug Heinrich V. Bischof Wolfger den gesamten Besitz des ehemaligen Reichsstiftes Niedernburg in der Stadt samt deren riesigem Gebiet im „Nordwald“ zwischen Ilz und Rodel bis Böhmen (Ilzland) und den Einnahmen aus der böhmischen Maut. Damit wird der Bischof mächtiger Territorialherr des Hochstiftes. Die Erhebung zum Fürstbischof und damit in den Reichsfürstenstand 1217 ist nur der logische Abschluss dieses gewaltigen weltlichen Macht zuwachses für die Passauer Oberhirtenherren und Stadtherren. Ausdruck des neuen fürstbischöflichen Herrschaftsanspruchs ist der Bau der Veste Oberhaus. Sie behauptete sich jahrhundertelang als Trutzburg gegen Bayern und Österreich. Aber noch viel häufiger diente sie Bischof und Domkapitel als Fluchtburg gegen rebellierende Stadtbürger. Durch den florierenden Donauhandel reich und selbstbewusst geworden, erstrebten die Passauer – ähnlich Regensburg – allerdings erfolglos den Status der „Freien Reichsstadt“ und die Befreiung von stadtherrlicher Bevormundung und zunehmendem Steuerdruck. Doch diese z.T. heftigen Auseinandersetzungen konnten die Fürstbischöfe dank ihrer guten Beziehungen zu Kaiser und Papst für sich entscheiden und die Stadt nach ihren Vorstellungen prägen, was nicht nur zum Nachteil der Stadt war.
Das Erscheinungsbild des „Bayerischen Venedig“ mit Barockdom, Kirchen und Klöstern, Residenzen, Kanonikerhöfen und Bürgerhäusern in italienischer Architektur und mit lombardisch anmutenden Gassen wurde geschaffen von Künstlern aus vielen Ländern Europas, die schöngeistige Fürstbischöfe in die Dreiflüssestadt gerufen haben. Die Mittel dafür kamen weniger aus den städtischen Einnahmen als aus den Erträgen des „Hochstiftes“ und des „Goldenen Steiges“, weshalb die Fürstbischöfe den Ausbau ihres Territoriums stets gezielt vorantrieben. Im Ringen mit mächtigen bayerischen Grafengeschlechtern konnten sie im Wald schließlich ein geschlossenes Gebiet zwischen Ilz, Donau und Ranna aufbauen und sichern. Diese glanzvolle Epoche ging mit der Säkularisation 1803 abrupt zu Ende: Wie alle geistlichen Territorien wurde das weltliche Fürstbistum Passau aufgehoben.
1803 kam Passau (und bald auch das Umland) nach dem Willen Napoleons an das Königreich Bayern, wobei er bewusst die Ansprüche Österreichs und die österreichischen Neigungen der Passauer unterdrückte. Glanz und Reichtum des alten Passau waren Geschichte. Plötzlich lag es nicht mehr inmitten eines sehr großen, sondern in der äußersten Ecke eines recht kleinen Bistums: eine bayerische Provinzstadt, Grenz- und Zollstation zu Österreich. Es dauerte lange, bis Passau sich von diesen Verlusten an Renommee und Wirtschaftskraft erholen konnte. Die alten Handelswege Inn, Donau und „Goldener Steig“ waren bedeutungslos geworden, Handwerker und Kaufleute ohne Abnehmer, der Grenzraum wirtschaftlich schwach entwickelt. Doch die Stadt gewann den Anschluss an die neue Entwicklung und ist heute ein lebendiges Oberzentrum. Seit 1837 befördern Dampfschiffe Personen von Passau nach Wien. Kultur, Schönheit und Lage locken seither Touristenströme an. 1860 erhielt die Stadt Bahnanschluss. Inzwischen hat sich der Schiffsverkehr durch die Öffnung des Main-Donau-Kanals 1993 beachtlich belebt. Kreuzfahrten auf der Donau stehen hoch im Kurs. Inzwischen sind über 100 luxuriöse Kreuzfahrtschiffe unter verschiedenen europäischen Flaggen im Einsatz.
Zugleich ist Passau Einkaufs-, Verwaltungs- und Schulstadt. Zum kulturellen Mittelpunkt Niederbayerns machte sie vollends die Gründung einer inzwischen allseits anerkannten Universität, die das Leben in der alten Bischofsstadt verjüngt und durchaus positiv beeinflusst hat. Die jährlich stattfindenden Festspiele „Europäische Wochen“ locken kulturell interessierte Besucher aus aller Welt an.
DER „GOLDENE STEIG“ UND DAS EHEMALIGE HOCHSTIFT
Seit jeher mit Passau engstens verbunden ist die Geschichte des Bayerischen Waldes nördlich der Donau im Dreiländereck Deutschland - Österreich - Tschechien. Es ist der südliche Teil des größten zusammenhängenden Waldgebirges Mitteleuropas, des „schönen, grünen Böhmerwaldes“. Der Name „Bayerischer Wald“, erst 1951 vom Bayerischen Landtag (im Zeichen des „Kalten Krieges“) festgelegt, ist inzwischen zur Dachmarke geworden. Gerodet (daher die vielen Ortsnamen auf – “reut“), besiedelt und kultiviert wurde der ursprünglich fast unzugängliche Urwald von Kolonisationsklöstern (wie Niedernburg und St. Nikola in Passau und Niederalteich bei Deggendorf). Auf römischen und keltischen Spuren hatten bajuwarische Bauern nicht nur entlang der Donau bis 1000 die -ing Orte gegründet, sie waren ilzaufwärts auch in den Wald vorgestoßen.
Die Besiedlung des Bayerischen Waldes belebte sich, als 1010 Kaiser Heinrich II. den Benediktinerinnen des Reichsstiftes Niedernburg das Land nördlich der Donau übertrug, samt allen Einnahmen aus dem Salzhandel mit Böhmen, und erst recht, als 1193 der Bischof in den Besitz dieser kaiserlichen Schenkung, des „Hochstiftes“, kam. Die Waldbesiedlung durch die Passauer Stadtherren entlang den Säumerwegen des „Goldenen Steiges“ fand erst im 17. Jh. ihren Abschluss. „Golden“ verrät den Gewinn, den die uralte, im Mittelalter sicher die bedeutendste Salz- und Handelsstraße zwischen Bayern und Böhmen, abwarf. „Steig“ beschreibt treffend die Art des Weges: für Fahrzeuge unpassierbar, mitten durch schier undurchdringliche Wälder, über Berg und Tal verband er beinahe schnurgerade Passau mit dem 70 km entfernten Prachatitz. „Säumer“, d.h. Frächter, Lastträger mit schwer beladenen Rössern, waren die zuverlässigen, bei den Kaufherren geschätzten Warentransporteure. Die Hauptroute führte – fast wie die heutige B 12 – über Salzweg, Straßkirchen, Großtannensteig und Außernbrünst, zunächst Röhrnbach, später Waldkirchen (seit 1300 als Hauptort des Abteilandes mit Markt- und Stapelrechten für Salz belegt) und Bischofsreut über die Grenze nach Wallern und Prachatitz. In der Hochblüte trennten sich zwei weitere Handelswege bei Salzgattern ab: der eine über Freyung, Mauth nach Bergreichenstein, der andere über Kuschwarda nach Winterberg.
Zur Blütezeit des Säumerhandels im 16. Jh. herrschte hier kaum vorstellbar reger Verkehr: bis zu 1300 Säumertiere pro Woche, reiche Kaufherren aus Prag, Wien und Venedig, Wein- und Tuchhändler aus Tirol, arme Glasträger aus dem hinteren Wald, aber auch Schmuggler – oft auf „Schlyffwegen“ – und allerlei unstete Gesellen bevölkerten den „Goldenen Steig“ und seine Stationen. Für die Sicherheit des Handels, nicht nur in Kriegszeiten, sorgten u.a. mit dem Bau zahlreicher Burgen vor allem die Herren des Hochstiftes, die Bischöfe, und die Stiftsherren am Prager Wyschehrad, denen Prachatitz unterstand. Erst nach dem 30-jährigen Krieg verlagerte sich der Salzhandel auf die Route Linz- Freistadt-Budweis: Der „Goldene Steig“ verfiel. Vom beträchtlichen Gewinn aus dem Salzhandel bekam zwar der Fürst und Mautherr den Löwenanteil, die Stadtwirtschaft von Passau verdankte ihm seine Blüte, aber es profitierten auch alle Gewerbetreibenden in den Ortschaften an diesem Handelsweg, dem die meisten ihre Entstehung verdanken. Erst dessen Verfall gab im 17. Jh. den Anstoß zur völligen Erschließung des Waldes als neue Einnahmequelle mit einer letzten Siedlungsanstrengung.